Bitte nicht stören!

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Bitte nicht stören!

Wie EMV unser Leben sicherer macht.

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Am 28.06.2023 aktualisiert 🛈
Erstmalig am 02.03.2020 veröffentlicht

Dass die zahllosen Elektro- und Funkprodukte um uns herum störungsfrei miteinander auskommen, ist nicht selbstverständlich. Erst gezielte Maßnahmen zur elektromagnetischen Verträglichkeit (EMV) sorgen dafür, dass Herzschrittmacher nicht aus der Ruhe zu bringen sind und Flugzeuge auch nach Blitzeinschlägen ihre Passagiere sicher ans Ziel bringen.

Mit voller elektromagnetischer Wucht

Der größte bekannte EMV-Vorfall hatte globales Katastrophen-Potenzial, ging aber glimpflich aus. Es fehlten schlicht noch die elektrischen Einrichtungen, die ihm hätten zum Opfer fallen können. Aber die Reaktionen des schon existierenden Telegrafensystems gaben eine Probe von der Kraft elektromagnetischer Erscheinungen, wenn große Feldstärken im Spiel sind. Telegrafenmasten spien Funken, Telegrafisten zuckten elektrisiert von ihren Apparaten zurück, Telegrafenpapier fing Feuer und wirre Nachrichten wurden ausgegeben, die niemand abgeschickt hatte. Polarlichter, normalerweise ein Phänomen der hohen Breiten, waren bis in die Äquatorregion zu beobachten. Heute, da sind sich die Fachleute sicher, hätte ein von der Sonne verursachter Magnetsturm der Stärke von 1859 für unsere empfindliche High-Tech-Infrastruktur verheerende Folgen. Statistisch ist nur rund alle 500 Jahre damit zu rechnen. Anders, als gegen die Natur, ist der Schutz elektrischer Geräte gegen technisch verursachte Störungen eine seit langem geübte Praxis. Vor dem Hintergrund der allumfassenden Funkvernetzung wird sie in Zukunft sogar noch wichtiger.

Beginn der Radio Ära
1920+
Gründung CISPR
1934
Erster R&S-Messempfänger
1937

Ein Problem wird hörbar

Bevor man um 1900 das Medium Funk entdeckte und zügig für die Kommunikation erschloss, gab es kein Sensorium, das den unteren Frequenzbereich des elektromagnetischen Spektrums, den Radiobereich, erfahrbar gemacht hätte. Deshalb besaß man lange keine Vorstellung davon, dass Elektrogeräte, insbesondere Motoren, für eine Menge Elektrosmog sorgten, der freilich jahrzehntelang niemanden störte. Erst als in den 1920er Jahren das Radio aufkam und einen – zunächst nur kleinen – Ausschnitt des Radiowellenbereichs kontinuierlich „überwachte“, wurde das Problem offenkundig. Heftige Störgeräusche trübten das ohnehin noch bescheidene Hörvergnügen und machten deutlich, dass es nur ein gemeinsames elektromagnetisches Spektrum für alle gibt, mit dem sorgsam umgegangen werden muss.

Erst die Störgeräusche in den ersten Radioempfängern brachten ans Licht, dass viele Geräte Elektrosmog erzeugen.

Elektromagnetische Wellen kennen keine Landesgrenzen

Deshalb war es ebenso naheliegend wie vorausschauend, die Ausarbeitung technischer Schutzempfehlungen in die Hände einer internationalen Organisation zu legen. Das 1934 gegründete „Comité international spécial des perturbations radioélectriques“ (Internationales Sonderkomitee für Funkstörungen), kurz CISPR, ist unter dem Dach der Internationalen Elektrotechnischen Kommission IEC bis heute eine der maßgeblichen Institutionen für die Herausgabe von Normen für elektromagnetische Verträglichkeit. Weitere Kommissionen wie CENELEC, ETSI, FCC oder ANSI ergänzen dessen Arbeit und sorgen dafür, dass kein Erzeugnis mit elektrischen Innereien unreguliert in den Markt entlassen werden muss. Alle Marktteilnehmer sowie staatlich beauftragte Stellen senden Vertreter in die Ausschüsse dieser gemeinnützigen Non-Profit-Organisationen, deren technische Empfehlungen durch Parlamentsbeschluss Gesetzeskraft erlangen. Auch Rohde & Schwarz als einer der führenden EMV-Messtechnikhersteller arbeitet an der Normung mit, denn die schönsten Regeln sind am Ende nutzlos, wenn sich ihre Einhaltung nicht mit vertretbarem Aufwand messtechnisch überprüfen lässt.

In der EU signalisiert das CE-Zeichen am Produkt, dass dieses alle einschlägigen Vorschriften, darunter auch die für EMV, erfüllt. In den USA dient dazu die Bescheinigung der FCC-Konformität. In Anbetracht der unüberschaubaren Produktzahl und der Kosten wäre eine förmliche Zulassung jedes Produkts aber nicht praktikabel. Es gilt deshalb die Eigenverartwortung der Hersteller. Sie müssen für die Normenkonformität ihrer Produkte geradestehen. Ertappte Sünder haben mit empfindlichen Strafen zu rechnen, mindestens aber mit einem Verkaufsverbot. Auch höherpreisige Produkte gehen den Prüfern zuweilen ins Netz. So sorgte ein Test von E-Bikes durch die Stiftung Warentest vor einigen Jahren für medialen Widerhall, weil mehrere Räder als Störsender auffällig wurden. Bis heute lassen die EMV-Eigenschaften vieler Produkte zu wünschen übrig. Eine Untersuchung der Bundesnetzagentur von 2019 befand 21,5 % der untersuchten Produkte als nicht konform mit den Vorschriften.

Für alle Produktgruppen gibt es maßgeschneiderte EMV-Normen, so auch für Monitore. Das Bild zeigt die Messung geleiteter Störungen mit einem Messempfänger, also von Störsignalen, die ein Gerät über die Stromleitungen verbreitet.

EMV-Messungen finden in elektromagnetisch dichten Schirmkammern statt, die sicherstellen, dass nur vom Messobjekt stammende Abstrahlungen in die Messung eingehen. Sie verhindern außerdem ein Entweichen von Störstrahlen, mit denen das Messobjekt bei Immunitätstests traktiert wird. Ähnlich wie bei einem schalltoten Raum sind Innenwände, Decke und Boden mit Absorbern ausgekleidet, die vagabundierende Wellenenergie in Wärme umwandeln und so für „elektromagnetische Ruhe“ sorgen.

Auch Haushaltsgeräte müssen auf den Prüfstand. Die Waschmaschine steht auf einer Drehscheibe, die winkelabhängige Messungen ermöglicht.

Fahrzeuge, Flugzeuge und Hubschrauber werden hohen Feldstärken ausgesetzt, um ihre Immunität dagegen zu testen. Dazu müssen sie komplett in entsprechend große Testhallen verbracht werden.

Je früher EMV-Aspekte in der Produktentwicklung berücksichtigt werden, desto kostengünstiger kommt ihre Umsetzung. Mit Feldsonden lassen sich ungewünschte Abstrahlungen einer Schaltung erkennen und lokalisieren.

Von kurios bis gefährlich

Mit den EMV-Normen will man sicherstellen, dass ein Produkt, das nicht funken soll, dieses auch unterlässt – etwa ein Motor oder eine Mikrowelle –, oder dass sich ein für den Funk- oder Rundfunkbetrieb zugelassenes Produkt strikt an die Vorgaben des verwendeten Funkstandards, zum Beispiel WLAN, hält und keine anderen Drahtlosdienste stört. Außerdem müssen alle Produkte im Rahmen vorgegebener Grenzwerte gegen elektromagnetische Störeinwirkungen von außen immun sein. Hakt es an der einen oder anderen Stelle, kann es über bloße Ärgernisse hinaus zu gravierenden Vorfällen kommen.

So ließ sich der Absturz eines deutschen Tornados zweifelsfrei auf die Reaktion der Bordavionik auf die starken Radiowellen eines in geringer Höhe überflogenen Kurzwellensenders zurückführen. Der Flugzeughersteller sah sich daraufhin zu konstruktiven Änderungen gezwungen. Aus Japan wurde in der Presse von Industrierobotern berichtet, die sich mutmaßlich aufgrund von Störstrahlungen aus der Fabrik in der Gegenwart von Menschen in Bewegung setzten, was zu mehreren Todesfällen geführt haben soll. Zu den vielen eher harmlosen Kuriositäten zählt der Funkempfang von Babygeschrei im Flugzeugcockpit durch nicht reguläre Babyphones, blockierte Garagentore durch Militärfunk oder ausgesperrte Autofahrer, deren Funkschlüssel plötzlich keine Wirkung mehr zeigte, weil Störstrahlung auf derselben Frequenz ihr Signal überdeckte.

Prüfstein Auto

Eine blockierte Schließanlage ist zwar ärgerlich, aber in der Regel nicht gefährlich. Das moderne Auto strotzt aber geradezu vor elektrischen und elektronischen Komponenten mit zunehmend sicherheitsrelevanten Funktionen. Da nur sichere Fahrzeuge zulassungsfähig sind, ist die elektromagnetische Verträglichkeit aller Bordsysteme ein Muss. Etliche EMV-Normen speziell für den Automobilbereich, etwa für die Störfestigkeit gegen Einstrahlungen in die Verkabelung, sollen sie garantieren. Für die Funkprodukte, die sich in immer größerer Zahl im Auto anfinden, gelten ergänzende Vorschriften. Neben der EMV im klassischen Sinne spielt, nicht nur im Auto, die störungsfreie Koexistenz verschiedener Funkdienste eine immer größere Rolle. Mobilfunk und Nahbereichstechnologien wie Wi-Fi und Bluetooth, dazu GPS, Radio und Fernsteuerfunktionen, im Auto zusätzlich Radare, sind oft im selben Produkt integriert und müssen nebeneinander funktionieren, ohne sich in die Quere zu kommen. Bei unsauberer Implementierung der Funktechnik werden Nutzsignale leicht zu Störsignalen. Zulieferindustrie und Fahrzeughersteller nehmen die Thematik schon aus Haftungsgründen sehr ernst und betreiben aufwendige EMV-Testeinrichtungen.

EMC Story

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EMV-Messhallen zählen zu den eindrucksvollsten messtechnischen Einrichtungen überhaupt. Ihre größten Vertreter nehmen ganze Flugzeuge auf.

Um Leib und Leben

Besonders gravierend wirken sich EMV-Probleme im Medizinbereich aus, wo Gesundheit und Leben von der zuverlässigen Funktion der Apparate oder Impantate abhängen. Es sind zahlreiche Fälle bekannt, in denen frühere Generationen von Herzschrittmachern aus einer Zeit, in der man noch nicht auf Schritt und Tritt mit der Gegenwart von Funksendern rechnen musste, sensibel auf Einstrahlungen reagierten und schon mal aus dem Takt kamen. Nintendo wies beispielsweise in den Sicherheitshinweisen zu seiner DS-Spielkonsole ausdrücklich darauf hin, dass man das Gerät bei aktivierter Drahtlos-Funktion nicht näher als 25 cm von einem Schrittmacher entfernt betreiben solle. Für Handys gab und gibt es ähnliche Empfehlungen. Wenngleich heutige Implantate in dieser Hinsicht als unbedenklich gelten, zumal sich die Hersteller der Gefahren bewusst sind, bleibt bei der Produktentwicklung größte Vorsicht geboten. Nicht umsonst behält sich in den USA die National Food and Drug Administration die Zulassung von Medizinprodukten vor, auch wenn diese über Drahtloszugänge verfügen, wofür normalerweise die Funkregulierungsbehörde FCC zuständig wäre. Die Hersteller von Medizinprodukten müssen ausführlich darlegen, wie sie potenziellen Gefahren begegnen und welche Testverfahren eingesetzt wurden, um die EMV nachzuweisen. Gibt es noch keine Normen für ein neuartiges Produkt, hat der Hersteller proaktiv dafür zu sorgen, dass dieses im vorgesehenen Einsatzbereich störungsfrei funktioniert und nötigenfalls eigene Prüfmethoden zu entwickeln. So arbeiten EMV-Spezialisten von Rohde & Schwarz derzeit zusammen mit einem Testhaus an einer Testprozedur für die NextGen-Patientenmonitore eines großen Medizintechnikherstellers.

Krankenhäuser und insbesondere die Intensivmedizin müssen darauf vertrauen können, dass die Geräte zur Patientenüberwachung und -versorgung störresistent sind. Sicherheitshalber verbietet man aber auch heute noch durchweg Mobilfunkprodukte wenigstens im OP-Umfeld. Dabei werden die medizinischen Geräte immer häufiger selbst zu Sendern, weil man Kabelverbindungen zur Datenübertragung durch Funkbrücken ersetzt, zum Beispiel über Bluetooth. Die Telemedizin setzt zunehmend auf den latenzarmen 5G-Mobilfunk für Echtzeitanwendungen. Integrierte Testlösungen, wie sie Rohde & Schwarz entwickelt, nehmen deshalb nicht nur die EMV und Koexistenzfähigkeit des Testobjekts unter die Lupe, sondern in einem Aufwasch auch seine funk- und datentechnische Performance, also funktionale Parameter. Das verkürzt und verbilligt die Prüfung der immer komplexer werdenden Technik.

Schützenhilfe für den digitalen Lifestyle

Die Menge der Funkprodukte ist seit der Jahrtausendwende explodiert und übersteigt längst um ein Mehrfaches die Zahl der Erdbewohner. Smarte cloud- und funkbasierte Dienste dringen in alle Lebensbereiche vor. Die drahtlose Heimvernetzung ist Mainstream, das mit seiner Umwelt vernetzte Fahrzeug in absehbarer Zeit Realität. All diese Errungenschaften setzen eine restriktive Bewirtschaftung der nicht vermehrbaren Frequenzressourcen voraus. Normen und Standards errichten die Leitplanken, innerhalb derer sich die Technik bewegen darf, aber nur mit spezieller Messtechnik lässt sich der Nachweis führen, dass alles im grünen Bereich ist – oder eben nicht.

Früh geübt ...

Schon 1937, vier Jahre nach der Firmengründung, stellte Rohde & Schwarz sein erstes HF-Feldstärkemessgerät vor – vermutlich eines der ersten überhaupt. Damit konnte die Industrie die Abstrahlung ihrer Geräte in den von Störungen geplagten Radiofrequenzbereich messen und gezielte Gegenmaßnahmen entwickeln. Die Firma ist der Produktgruppe treu geblieben und hat die technische Entwicklung durch die Jahrzehnte mit immer neuen Gerätegenerationen begleitet. Darüber hinaus wurde das EMV-Messtechnikportfolio Zug um Zug komplettiert. Heute umfasst das Angebot alles, was Industrie und Prüfstellen für die Messung der elektromagnetischen Verträglichkeit brauchen, von der Antenne bis zum schlüsselfertig eingerichteten Messystem. Durch den anhaltenden Boom der Funkdienste war die EMV-Messtechnik nie wertvoller als heute.

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