Internet der Tiere vor dem Start

Internet der Tiere nimmt Betrieb auf

21.04.2021

ICARUS, das ambitionierte Projekt zur großräumigen Tierbeobachtung mithilfe der Internationalen Raumstation ISS, hat seine Testphase mit Bravour bestanden, sodass erste Projekte starten können.

Das weltweit beachtete Forschungsprogramm wird vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell (MPIAB) federführend betreut und zusammen mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR und der russischen Raumfahrtagentur Roskosmos durchgeführt. Rohde & Schwarz steuert die Funktechnik für die Tiersender bei.

Amseln gehören zu den Tieren, die vom Max-Planck-Institut für Ornithologie mit ICARUS-Hilfe beobachtet werden sollen.
Amseln gehören zu den Tieren, die vom Max-Planck-Institut für Ornithologie mit ICARUS-Hilfe beobachtet werden sollen.

Wo fliegen sie denn?

Durch die Miniaturisierung von Elektronik und Sensoren ist man schon länger in der Lage, Tiere mit kleinen Sendern auszustatten. Ihr Verhalten lässt sich so bequem erforschen, ohne sie in ihrem Lebensraum zu stören. Allerdings basierten die Sender bisher entweder auf Mobilfunktechnik oder einfachen analogen Funkverfahren. Damit war ihre Reichweite sehr beschränkt. Das weltraumgestütze ICARUS-System dreht hingegen ein großes Rad.

Mit ihm lassen sich die Wanderungsbewegungen von Zugvögeln und anderen mobilen Tieren lückenlos und mit großer Auflösung über beliebige Strecken verfolgen, insbesondere auch interkontinental. Von vielen Arten ist zwar bekannt, dass sie wandern und welche Orte sie besuchen, aber die genauen Routen, das Verhalten auf der Reise und die Umweltbedingungen, denen die Tiere ausgesetzt sind, waren der Forschung bisher nicht zugänglich. ICARUS wird diese Fragen auf elegante und zeitgemäße Weise beantworten.

Mission ICARUS
Mission ICARUS: Satellitentechnik im Dienst der Biologie.

Satellitentechnik im Dienst der Biologie

Der Ankerpunkt des ICARUS-Systems ist die Internationale Raumstation ISS. Auf ihrer spiralförmigen Umlaufbahn überfliegt sie täglich mehr als 90 Prozent der Erdoberfläche und ist wegen ihrer niedrigen Flughöhe von rund 400 km noch gut für Funksender geringer Sendeleistung erreichbar. Das brachte die ICARUS-Partner auf die Idee, sie als Gegenstelle für die zu überwachenden Tiere einzusetzen.

Geeignete Funktechnik war allerdings nicht von der Stange zu haben. Die kleine, auf Satellitenfunk spezialisierte Firma INRADIOS – inzwischen eine Rohde & Schwarz-Tochter – bot sich als Problemlöser an. Zusammen mit der Max-Planck-Ausgründung I-GOS, der Firma SpaceTech und der DLR entwickelte sie das Funkverfahren, die Tiersender, das Signalverarbeitungsmodul für die ISS und die bodengebundenen Empfänger, die die Signale anstelle der ISS entgegennehmen können.

Der Tiersender wurde zusammen mit dem Max-Planck-Institut für Ornithologie und der Firma I-GOS entwickelt. Zusätzlich zu diesem Standardtag wird es Versionen für Meeresbewohner und große Tiere geben, etwa für Elefanten.
Der Tiersender wurde zusammen mit dem Max-Planck-Institut für Ornithologie und der Firma I-GOS entwickelt. Zusätzlich zu diesem Standardtag wird es Versionen für Meeresbewohner und große Tiere geben, etwa für Elefanten.

Jedem Tier ein "Tag"

Der von Rohde & Schwarz hergestellte Tiersender (Tag) geht an die aktuelle Grenze der Miniaturisierung. Er ist nicht nur so kompakt (2 cm2) und leicht (< 5 g), dass ihn auch kleinere Tiere ohne Beeinträchtigung tragen können, sondern enthält neben einem Rechner mit Speicher, einem GPS-Empfänger, der Funktechnik, dem Akku und der Solarzelle auch ein ganzes Sortiment an Sensoren zur Messung von Umwelt- und Bewegungsdaten. So erfährt man nicht nur, wo sich die Tiere aufhalten, sondern auch, wie sie sich bewegen, wie es um ihre Körpertemperatur sowie um Feuchte und Druck in ihrer Umgebung bestellt ist.

Eine maritime Tag-Version wird außerdem wasserdicht, druckfest und schwimmfähig sein, sodass man sie an Meeresbewohnern anbringen kann. Ihre Befestigung wird so eingerichtet, dass sie sich nach einer gewissen Zeit löst, sodass der Tag zur Wasseroberfläche aufsteigen und Funkverbindung zur ISS aufnehmen kann.

Update der ISS-Bahndaten
Schritt 1: Der "Tag" befindet sich im stromsparenden Ruhemodus und wartet darauf, vom internen Timer zur erwarteten ISS-Überflugzeit geweckt zu werden. Schritt 2: Nach dem Aufwecken überprüft der "Tag" in kurzen Zeitabständen, ob das ISS-Download-Signal schon empfangen wird. Schritt 3: Bei erfolgreichem Empfang extrahiert der "Tag" die aktuellen Bahndaten und berechnet auf dieser Basis und der seiner eigenen GPS-Position den Zeitpunkt für das nächste Übertragungsfenster. Danach fällt er in den Ruhemodus zurück, sofern keine Datenaufzeichnung ansteht.
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Storch an ISS: bitte kommen!

Die ISS arbeitet wie ein Datenstaubsauger, der die Daten der mit einem Tag ausgerüsteten Tiere unter ihr im Überflug entgegennimmt. Das Zeitfenster dafür ist denkbar kurz: Nur für 15 Sekunden am Tag ist ein Tier in Funkreichweite. Diese Zeit muss genau abgepasst werden. Der Tag berechnet sie auf Basis der ISS-Bahndaten, die ihm regelmäßig übermittelt werden, und macht sich zu gegebener Zeit sende- und empfangsbereit. Die meiste Zeit verbringt er im stromsparenden Ruhemodus und wird vom Timer nur aufgeweckt, wenn programmgemäß Daten oder Funkkontakt aufzunehmen sind.

Übertragung von Sensordaten
Schritt 1: Nähert sich der Zeitschlitz für eine mögliche Übertragung zur ISS, erwacht der "Tag" aus dem Ruhezustand. Innerhalb des kurzen für Übertragungen offenen Fensters von ca. 15 s wird der ca. 3 s dauernde Upload randomisiert gestartet, damit nicht alle benachbarten "Tags" gleichzeitig senden. Schritt 2: Nach dem Daten-Upload geht der "Tag" für kurze Zeit in den Empfangsmodus für den Fall, dass noch Steuerkommandos an ihn folgen. Diese sendet die ISS an einen "Tag" nur aus, wenn sie durch einen gerade erfolgten Upload weiß, dass dieser in Reichweite ist. Schritt 3: Bevor der "Tag" wieder in den Ruhemodus fällt, berechnet er noch die nächste Kontaktzeit. Der Timer ist einer der wichtigsten Komponenten des "Tags". Er weckt diesen nur auf, wenn es etwas zu tun gibt, also entweder Sensordaten zu speichern sind oder eine Übertragung ansteht.
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Wie oft Daten erhoben und gesendet werden sollen und welche, lässt sich für jeden Tag individuell festlegen. Denn wie jedes Ding im kommenden Internet der Dinge ist mit ICARUS auch jedes Tier im Internet der Tiere direkt adressierbar. Zur Vereinfachung und weil in der Regel größere Tiergemeinschaften ausgerüstet werden, lassen sich Tags auch zu Gruppen zusammenfassen und gemeinsam ansprechen.

Der ISS-Bordrechner akkumuliert die empfangenen Daten und sendet sie gebündelt an die von Roskosmos betriebene ICARUS-Bodenstation. Die leitet sie an die Operationszentrale in Deutschland weiter, wo man sie in die Datenbank movebank.org einspeist, die weltweit übers Internet erreichbar ist.

Prof. Dr. Martin Wikelski, Direktor des Max-Planck-Instituts für Ornithologie und Leiter des ICARUS-Projekts, erforscht die Bewegung von Palmenflughunden in Afrika.
Prof. Dr. Martin Wikelski, Direktor des Max-Planck-Instituts für Ornithologie und Leiter des ICARUS-Projekts, erforscht die Bewegung von Palmenflughunden in Afrika.
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Große Erwartungen, große Nachfrage

Die einzigartigen Forschungsmöglichkeiten, die ICARUS den Biologen eröffnet, haben beim verantwortlichen Max-Planck-Institut (MPIAB) schon zu mehreren Hundert Anfragen von Wissenschaftlern aus aller Welt geführt. Antragsteller, die das MPIAB für seriös hält, dürfen eine hinreichende Anzahl von Tags erwerben und deren Datenausbeute drei Jahre lang exklusiv nutzen, bevor sie der Allgemeinheit zugänglich wird. Das MPIAB hat natürlich auch selbst einige Vorhaben im Köcher. So wird das schon laufende Forschungsprogramm über Amseln mit ICARUS auf eine neue Stufe gehoben. Flughunde in Afrika – auch diese schon länger im Fokus, weil sie zur Samenverbreitung beitragen und als Spürhunde für Ebola-Infektionsherde dienen – sind dank ICARUS präzise verfolgbar. Auf Sizilien will man der Frage nachgehen, ob Tiere tatsächlich einen sechsten Sinn für dräuende Naturkatastrophen haben und beispielsweise Vulkanausbrüche (Ätna!) vorausfühlen können. Hierfür sollen Bergziegen besendert werden.

ICARUS bringt eben die Fantasie der Biologen zum Fliegen.

Regelbetrieb im vierten Quartal geplant

Forschungsbetrieb hat begonnen

Da die ISS als Gegenstelle zunächst nicht zur Verfügung stand, wurden die Tags zusammen mit ebenfalls von Rohde & Schwarz hergestellten Bodenfunkgeräten getestet. Diese Betriebsart ist ohnehin alternativ vorgesehen. Sie hat den Vorteil, dass sich deutlich höhere Datenraten darüber erzielen lassen und Datenübertragungen auch viel öfter erfolgen können als zu den ISS-Überflugzeiten. Wissenschaftler können so auch bequem kleinräumige Beobachtungen durchführen, etwa im Brutbereich einer Vogelkolonie.

Ein geplanter erster Systemtest mit der ISS im Juli 2019 scheiterte wegen Kühlproblemen am Bordcomputer. Die notwendige Ersatzteilbeschaffung warf das Projekt um einige Monate zurück. Die dann einsetzende Corona-Pandemie brachte weitere Verzögerungen mit sich. Das Jahr 2020 konnte jedoch für ausgiebige Tests genutzt werden, die das System souverän bestanden hat. Die Leistungserwartungen an die Funktechnik wurden sogar deutlich übertroffen. Seit September 2020 läuft nun das erste crosskontinentale Projekt zur Beobachtung des Wanderverhaltens von Amseln und Drosseln. Während das System also Fahrt aufnimmt, entwickelt INRADIOS die Funk-Tags zusammen mit dem MPIAB kontinuierlich weiter. Ziel ist eine noch stärkere Miniaturisierung bei gleichzeitiger Steigerung der Akkulaufzeit. Eines Tages sollen die Tags so klein sein, dass man sogar Insekten damit ausrüsten kann.

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