Technik im Fokus

Das war das Ende des Henne-Ei-Problems

Interview mit Thomas Bögl, Director of Technology and Studies

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Am 14.03.2024 aktualisiert 🛈
Erstmalig am 01.04.2023 veröffentlicht

Der offizielle Startschuss zu LDACS (L-band Digital Aeronautical Communications System) fiel im Dezember 2016, als die internationale Zivilluftfahrtorganisation in Kanada die Standardisierungsarbeiten aufnahm. Damit es so weit kam, war jahrelange Vorarbeit nötig. Das weiß kaum jemand besser als Thomas Bögl. Dem Abteilungsleiter bei Rohde & Schwarz war bereits gegen Ende der 2000er Jahre klar, dass der rein analoge Flugfunk langfristig um einen digitalen Standard erweitert werden muss.

Zusammen mit Thomas Richter, leitender Ingenieur aus der Vorentwicklung, und seiner Abteilung stieß er Forschungs- und Entwicklungsarbeiten innerhalb des Konzerns an, suchte den Kontakt mit Forschungsinstituten wie dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und scheute auch die gut 6000 Kilometer von München nach Montreal zum Hauptquartier der internationalen Zivilluftfahrtorganisation ICAO (International Civil Aviation Organization) nicht.

Herr Bögl, wann begann für Sie die Arbeit an LDACS?

Meine erste Berührung mit LDACS war etwa im Jahr 2010. Es war ein Treffen mit dem DLR in Oberpfaffenhofen, die ja einer der Erfinder des LDACS-Funkverfahrens sind. Die Spezialisten dort haben sehr überzeugend dargestellt, dass in Zukunft neue digitale Funkverfahren benötigt werden, um den analogen Sprechfunk zu entlasten. Dass dafür neue Produkte entwickelt werden müssen, war bereits damals klar. Weil das aber nicht Aufgabe des DLR ist, machte eine Partnerschaft zwischen Forschung und Industrie viel Sinn. Tatsächlich war dieses Treffen auch der Beginn der bis heute sehr fruchtbaren LuFo-Projektpartnerschaft mit dem DLR. LuFo steht für Luftfahrtforschung.

Der analoge Sprechfunk hat sich im Flugverkehr gut bewährt. Woran konnte man den Entlastungsbedarf erkennen?

Heute müssen Fluglotsinnen und Fluglotsen fast genauso viele Luftfahrzeuge koordinieren wie vor Corona. Und die Tendenz steigt rasant. Diesen Trend konnte man auch schon vor fünfzehn Jahren sehen. Wichtig zu verstehen ist noch, dass diese Arbeitslast nicht auf mehr Personal verteilt werden kann, weil dafür nicht genügend parallele Sprechfunkkanäle vorhanden sind.

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Rohde & Schwarz ließ als bisher einzige Firma verlauten, in Zukunft sowohl für Flugzeuge als auch für die Bodeninfrastruktur LDACS-Produkte liefern zu wollen.

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Thomas Bögl, Director of Technology and Studies

Eine Entlastung kann nur erreicht werden, indem solche Anweisungen, die nicht unbedingt eine direkte Sprachverbindung zwischen Piloten und Lotsen erfordern, über eine parallele Datenverbindung abgewickelt werden. Darunter fallen zum Beispiel nicht sicherheitskritische Anweisungen, etwa wenn sich das Flugzeug noch am Boden befindet. Für den Datenaustausch gibt es zwar schon lange die VHF-Datenfunktechnik, aber durch ihren limitierten Datendurchsatz bietet sie mittel- bis langfristig keine wirksame Entlastung für den Sprechfunk. Deshalb zeichnete sich schon damals ab, dass die Luftfahrt bald eine leistungsstärkere digitale Datenfunktechnik benötigen würde.

LDACS wird auch neue Anwendungsfälle eröffnen. Welche sind für Sie die wichtigsten und warum?

Die erste und gleichzeitig auch die wichtigste Anwendung ist das Bereitstellen einer ausreichend hohen Datenrate und einer Verschlüsselung – und zwar in bestehenden Systemen. Ihrem VHF-Datenlink wird mit LDACS ein starker Bruder im L-Band zur Seite gestellt. Der Einfachheit halber verhält sich ein LDACS-Datenlink so wie ein quasi-breitbandiger VHF-Datenlink. So lassen sich Bestandssysteme möglichst unkompliziert erweitern.

Zusätzlich bringt LDACS eine eigene Navigationsfunktion mit. Sind GPS oder andere Navigationssysteme an Bord gerade nicht verfügbar, kann sie als Ersatzsystem dienen und eine Positionsbestimmung des Flugzeugs vornehmen. Damit leistet LDACS nicht nur einen Beitrag zur Effizienzsteigerung der Flugfunkkommunikation, sondern auch zur Flugsicherheit.

Sehr früh ging es für Sie und ihr Team nach Montreal, zum ICAO-Hauptsitz. Warum nicht nach Paris zum europäischen Regionalbüro oder zur Deutschen Flugsicherung?

Nur am Stammsitz der ICAO sitzen die Personen im sogenannten Communications Panel. Und nur sie können neue Arbeitsgruppen gründen, die auch das Mandat haben, neue Technologien für die Luftfahrt zu standardisieren. Die Deutsche Flugsicherung ist ein Anwender von für die Flugsicherung freigegebenen Technologien, kann selbst aber keine Standardisierungen durchführen.

Stammsitz der International Civil Aviation Organization (ICAO) in Montreal.

In der Regel investieren Fluggesellschaften und Flughafenbetriebe erst, wenn marktreife Geräte in Reichweite sind und Komponenten- und Gerätehersteller fragen erst nach einem Absatzmarkt, bevor sie in die Geräteentwicklung investieren. War der Besuch bei der ICAO auch der Schlüssel, um dieses übliche Henne-Ei-Problem zu überwinden? Wenn das oberste Gremium entscheidet, hat schließlich jeder Planungssicherheit.

Der Besuch bei der ICAO war in der Tat das Ende des Henne-Ei-Problems und der Beginn zielgerichteter internationaler Aktivitäten zu LDACS. Mit der Einberufung der neuen Arbeitsgruppe Projekt Team Technologie wurde schnell ein Forum geschaffen, in dem sich alle Interessenten und Betroffenen von LDACS offiziell treffen und austauschen konnten. Das war auch der Boden für weitere Aktivitäten, die über die reine Standardisierung hinausgingen. Ein Beispiel ist die Gründung der Avionic Task Force. Unter dem Mandat der ICAO bringt sie alle an Flugsystemen beteiligten Firmen an einen Tisch, identifiziert alle noch im Weg stehenden Hürden und räumt sie aus.

Leiter dieser Arbeitsgruppe ist im Übrigen Thomas Richter. Als Projektleiter der LuFo-Projekte bei Rohde & Schwarz hat er unter anderem die Flugversuche geplant und organisiert. Er hat insgesamt einen maßgeblichen Anteil am Geschehen um LDACS und ohne seinen unermüdlichen Einsatz wären die vielen Aktivitäten von Rohde & Schwarz zu LDACS gar nicht leistbar.

Welche Organisationen und Behörden müssen zusammenspielen, damit ein weltweiter Standard wie LDACS erfolgreich eingeführt werden kann?

Allen voran sind die ICAO und die EUROCAE zu sehen, aber auch entscheidende Flugsicherungsorganisationen wie EUROCONTROL, die mit der Standardisierung zunächst die formelle Basis zum Ausrollen und zum Betrieb legen. Genauso entscheidend sind aber auch die zukünftigen Betreiber und Nutzer von LDACS. Fluggesellschaften und Flugzeughersteller müssen ihr Interesse an der Nutzung bekunden, damit die Industrie genug Sicherheit sieht, um Entwicklungsbudgets zu investieren, damit sie die benötigten Produkte auch wirklich anbieten können.

Damals brach ein fünfköpfiges Team nach Montreal auf. Wie hat sich das Interesse an LDACS seitdem entwickelt?

In einem der letzten LDACS-Webinare, zu der die Deutsche Flugsicherung als Ausrichter eingeladen hatte, kamen circa 200 Firmen und Organisationen. Sie informieren sich über LDACS, treiben aber auch eigene Aktivitäten voran. Trotz dieses steigenden Wettbewerbs ließ Rohde & Schwarz bisher als einzige Firma verlauten, in Zukunft sowohl für Flugzeuge als auch für die Bodeninfrastruktur LDACS-Produkte liefern zu wollen.

Was hat Sie in den rund 15 Jahren am meisten bei der Arbeit motiviert?

Mehreres. Ein Aspekt ist, dass die internationale Luftfahrtgemeinschaft viele unserer Vorschläge zu LDACS aufgegriffen hat, zum Beispiel dazu, wie die Infrastruktur von Flugzeugen und am Boden mit LDACS kostengünstig erweitert werden kann. Es freut mich auch, dass uns viele Firmen und Organisationen zu LDACS ansprechen und als zentralen Kompetenzträger wahrnehmen.

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Das absolute LDACS-Highlight waren für mich natürlich die Flugversuche im April 2019, als wir einen LDACS-Demonstrator in das Forschungsflugzeug des DLR integriert haben und die Fähigkeiten des neuen Funkverfahrens live im Flug zeigen konnten.

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Thomas Bögl, Director of Technology and Studies

Die Route der ersten Testflüge im Jahr 2019 führte über vier eigens für das Projekt errichtete LDACS-Bodenstationen in Südbayern. Die Flugrouten wurden so geplant, dass der Funkzellenwechsel (Handover) getestet werden konnte und außerdem…

… verschiedene Triangulationsszenarien mit zwei bis vier Bodenstationen.

Das absolute LDACS-Highlight waren für mich natürlich die Flugversuche im April 2019, als wir einen LDACS-Demonstrator in das Forschungsflugzeug des DLR integriert haben und die Fähigkeiten des neuen Funkverfahrens live im Flug zeigen konnten. In Süddeutschland haben wir dafür sogar vier LDACS-Bodenstationen aufgebaut, mit denen die Flugzeuginstallation während des Fluges erfolgreich kommunizierte.

Für realitätsnahe Testflüge hat die Deutsche Flugsicherung alle Freigaben erteilt. Das heißt, wir konnten uns im Luftraum innerhalb des normalen Flugverkehrs bewegen. Weil es die weltweit ersten Flüge waren, in denen LDACS real gezeigt werden konnte, gab es auch ein großes Medienecho. Auf der Webseite des DLR standen an diesem Tag ausnahmsweise keine Berichte über Marsmissionen oder die ISS, sondern die LDACS-Testflüge unseres Projekts.

Wie arrangieren Sie sich als Techniker mit der bürokratischen Facette der Standardisierungsarbeit?

Ich bin zwar techniknah unterwegs, allerdings immer mit dem Blick für die Nutzbarkeit und die Wirtschaftlichkeit zukünftiger Lösungen. Diese beiden Aspekte sind mir sehr wichtig. Ohne hohen Kundennutzen fehlt die Kaufbereitschaft und wenn eine neue Technik nicht beherrschbar und finanziell attraktiv ist, wird sie gar nicht erst eingeführt. Dann hilft auch der höchste Kundennutzen nicht mehr.

Die Standardisierungsarbeit kann in der Tat sehr bürokratisch sein. Wir teilen sie uns im Wesentlichen mit dem DLR und der Deutschen Flugsicherung. Beide sind Projektpartner im laufenden LuFo-Projekt PaWaDACs und beide spielen eine wesentliche Rolle in den relevanten Standardisierungsgremien bei der ICAO und der EUROCAE. Durch diese Arbeitsteilung können wir uns vorrangig auf die Technik und den Kundennutzen fokussieren und das DLR und die Deutsche Flugsicherung berücksichtigen unsere Ergebnisse dann in den entsprechenden Dokumenten der Standardisierung.

Welche Bilanz ziehen Sie zum bisher Erreichten? Und was sehen Sie als nächsten großen Meilenstein für LDACS?

Die bisherige Bilanz ist durchweg sehr positiv. Es gibt mittlerweile viele Interessenten für LDACS und die Standardisierung wird in diesem Kalenderjahr abgeschlossen sein. Damit sind die wichtigsten Voraus-setzungen für uns als Firma erfüllt, um zur prognostizierten Markteinführung im Jahr 2028 mit den richtigen Produkten bereit zu stehen und uns den zivilen Markt der Avionik weiter zu erschließen.

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